In der Ergotherapie begegnen mir immer wieder Kinder, wo die Malentwicklung bzw. Fein-, und Grafomotorik nicht altersentsprechend stattgefunden hat. Das Ganze hat nichts damit zu tun, dass das Kind kein Zeichentalent ist, oder weil das Kind ein Bub ist und einfach lieber in der Bauecke spielt und deswegen nicht gerne malt.
All diese Begründungen sind nicht wirklich von Belangen. Denn hat das Kind eine altersgerechte Entwicklung durchlaufen, erreicht es diese Meilensteine. Und diese Meilensteine gibt es in der Fein-, Grafo und Großmotorik genauso wie in der Malentwicklung.
Anhand einer Zeichnung kann viel "herausgelesen" werden. Einige der Kriterien sind zum Beispiel: Malt das Kind bunt? Oder nur in einer Farbe? Wenn es nur einfärbig malt, kann das ein Hinweis sein, dass es in der Hand/Fingergeschicklichkeit Probleme hat, weil sonst würde es von sich aus unterschiedliche Stifte nehmen. Wie sind die Größenverhältnisse? Wenn das Kind zum Beispiel sich selbst, einen Baum und ein Haus malt ist es interessant zu sehen, wie die Größenverhältnisse sind. Malt es sich selbst ganz winzig oder viel größer als das Haus? Malt es diese Formen in einem guten Abstand oder ganz eng zusammen? Wie nützt es das Blatt also aus? Sind die Flächen ausgemalt und wenn ja, wie? Hält es Linien ein? Kann es gerade und schräge Linien malen? Sind die Kreise geschlossen oder offen? Malt es beim Dach ein Dreieck oder schafft es keine Spitze und rundet es das Dach ab? Fehlen beim Mensch wichtige Dinge wie Augen, Nase, Mund, Ohren, Finger? All diese Punkte und mehr werden dann mit dem Alter abgeglichen und gibt einige Hinweise wie es um die Selbstwahrnehmung, Raumlage Wahrnehmung und die Handgeschicklichkeit steht. Und das alles hat also nichts mit irgendeinem Talent zu tun, was vererbt wird.
Beim Malen geht es also nicht um „schön“ oder ein talentiertes Zeichnen. Sondern um bestimmte Grundformen die ein Kind können sollte und um eine gute Handgeschicklichkeit.
Kann ein Kind nicht altersentsprechend malt oder es vermeidet diese Situationen, wo es ums zeichnen, basteln, malen geht, ist dies häufig ein Hinweis auf verschiedene Schwierigkeiten des Kindes, die unbedingt abgeklärt und behandelt werden sollten!
Eine gute Fein-, Grafo-, und Schreibmotorik hat auch mit anderen Dingen zu tun:
Eine gut koordinierte Körpergeschicklichkeit ist die Grundlage einer gut dosierten Fein-, Grafo- und Schreibmotorik. Somit muss bei fein- und grafomotorisch auffälligen Kindern häufig parallel an ganzkörperlichen Sinnes-, Bewegungs- und Raumerfahrungen gearbeitet werden.
In der kindlichen Entwicklung beeinflussen sich die Großmotorik (also Körpergeschicklichkeit, Koordination), die Feinmotorik und die Sinneswahrnehmung gegenseitig.
Häufig sind Störungen in der Fein- und Grafomotorik Wahrnehmungsstörungen und eben Auffälligkeiten in der Ganzkörpergeschicklichkeit (Großmotorik).
Kinder, die als Kleinkind zu kurz, unkoordiniert oder gar nicht gekrabbelt sind und dadurch keine gute Kreuzkoordination entwickelt haben, haben später oft Schwierigkeiten, Schrägen und Überkreuzungen zu malen. Dies benötigt das Kind aber beim Schreiben von Buchstaben, Zahlen, malen von Häusern etc. Manchmal haben sie auch Schwierigkeiten in der Raumlagewahrnehmung und ihre Händigkeitsentwicklung ist verzögert. Eine Kreuzkoordination regt beide Hirnhälften an.
Hier ein paar grobe Eckpunkte, ab wann ein Kind was können sollte:
Dreipunktgriff
Wenn das Kind malen und zeichnen vermeidet und wenig Interesse zeigt
Hierbei immer wieder das Kind „einladen“ und ein Angebot anbieten. Einen kleinen Malbereich herrichten, wo unterschiedliches Papier und Stifte angeboten werden. Zum Beispiel:
Was die Stifthaltung betrifft, ist der Dreipunktgriff sehr weit verbreitet, aber es wird nicht mehr so „streng“ gehandhabt. Besonders wichtig ist, dass die ersten drei Finger, wenn sie den Stift halten, beweglich sind - also dynamisch. Denn das benötigt das Kind für das Schreiben von Buchstaben. Es gibt durchaus Kinder, die im Vierpunktgriff schreiben und eine gute Fingerbeweglichkeit haben. Je größer die Schreibmenge wird, spätestens in der vierten Klasse Volksschule, haben dann die Kinder erhebliche Schwierigkeiten, wenn keine gute Fingerbeweglichkeit gegeben ist. Folglich ist die Fingerbeweglichkeit also das Kriterium was die Stifthaltung betrifft.
Die Erfahrung von Kolleginnen und mir zeigt, dass je älter ein Kind ist, also sechs Jahre und mehr, ein Umlernen von nicht sinnvollen - verkrampften Stifthaltungen in den Dreipunktgriff sehr schwierig ist. Das benötigt ein sehr konsequentes Üben und einen langen Atem.
Muss ein Kind „schön“ schreiben?
NEIN! Ein Indikator für ein graphomotorisches Training ist nicht, wenn das Kind subjektiv aus Sicht der Eltern oder Lehrkräfte nicht „schön“ schreibt. Das Wort sollte eigentlich aus dem Wortschatz gestrichen werden! Denn hierbei geht es nicht um „schön oder schirch“ sondern einzig allein um Lesbarkeit. Solange das Kind keine Schmerzen in den Fingern hat, mit der Schreibmenge in einem guten Tempo zurechtkommt und die Schrift leserlich ist, benötigt es hier keine Therapie. Auch wenn die Schrift aus Sicht von anderen zu optimieren wäre. Das ist dann eher ein Thema was die Eltern oder Lehrkräfte mit sich ausmachen und vor allem aushalten müssen 🙂 .
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